Als unsere Vorfahren ihre Höhlen verlassen haben, um auf die Jagd zu gehen oder Beeren zu sammeln, war ihre Wachsamkeit, ihr Fokus auf die potentiell drohende Gefahr und damit ein entsprechendes Stresslevel überlebensentscheidend.
Von jenen, die sich selbstvergessen an der Pracht der Blumen ergötzt haben, stammen wir nicht ab! Ihre Unachtsamkeit machte sie zur leichten Beute für den hungrigen Säbelzahntiger. Wir konnten also nur überleben, wenn wir die Gefahr frühzeitig erkannten, uns dem Kampf entsprechend gewappnet stellten oder im Falle eines übermächtigen Gegners die Flucht in ein sicheres Versteck antraten. In dieser Situation ist Anspannung und Stress nicht nur hilfreich, sondern überlebensentscheidend. Die durch die Stresshormone ausgelösten Mechanismen verleihen uns zumindest kurzfristig die Kraft für den Kampf und die Reaktionsfähigkeit und Ausdauer für die rettende Flucht. Nach diesem Überlebenskampf haben wir uns wieder in unsere Höhle zurückgezogen, uns gestärkt und uns ausgeruht, um neue Kräfte zu tanken. Durch die körperliche Bewegung haben wir die Stresshormone, die uns bei Dauerbelastung schädigen würden, wieder abgebaut und durch die darauffolgende Erholungsphase gaben wir unserem Körper die Chance die Energietanks wieder zu füllen.
Der faule Löwe
Ähnliche Mechanismen können wir bei anderen Raubkatzen beobachten. Denken wir an einen Löwen, der hungrig durch die Savanne schleicht. Angespannt beobachtet er seine potentielle Beute bis er mit gebündelter Energie nach einem Sprint sein Opfer angreift und zur Strecke bringt. Nach dem Mahl streckt sich der Löwe, um seine Muskulatur zu entspannen und legt sich für Stunden oder gar Tage unter einen Baum um zu faulenzen.
Alles beim Alten
Was ist von diesen uralten Mechanismen noch übriggeblieben? Alles, denn die Evolution arbeitet langsam! Heute noch ist der moderne Mensch stärker auf die Gefahr und das Negative fokussiert. Deshalb fällt es uns immer noch leichter die Fehler zu sehen, oder uns an negative Ereignisse zu erinnern. Das Positive zu erkennen oder die schönen Details wahrzunehmen fällt uns viel schwerer und fordert mehr mentale Anstrengung. Dies wird durch die Faulheit unseres Gehirns unterstützt, das stets danach trachtet möglichst wenig Energie zu verschwenden.
Auch unsere Reaktion auf Stressoren ist gleichgeblieben. Entsprechende Stresshormone werden ausgeschüttet und machen uns kampf- oder fluchtbereit. Unser Puls steigt, das Blut wird verstärkt in die Extremitäten gepumpt, unser Atem verflacht sich und wird schneller, unsere Wahrnehmung verändert sich und um nicht zu überhitzen fangen wir an zu schwitzen. Dies alles passiert sehr schnell und meist unbewusst, da zum Denken vermeintlich zu wenig Zeit bleibt, was bei einer Begegnung mit einem Säbelzahntiger durchaus hilfreich ist. Aber sind die Säbelzahntiger nicht ausgestorben?
Die mutierten Säbelzahntiger
Ja, im realen Leben bedrohen sie uns nicht mehr mit ihren spitzen Säbelzähnen und todbringenden Pranken, aber sie haben ihre Formen mutiert und lösen in unserem Kopf immer noch dieselben Stressreaktionen aus. Zu allem Überfluss sind sie in unserer modernen Welt noch deutlich mehr geworden und ihre Angriffe sind häufiger geworden und gönnen uns immer weniger Pausen. Sie erscheinen getarnt als stetig steigende Geschwindigkeit und Informationsflut, als hetzender Termindruck, als klingelndes Telefon oder piepsende Nachricht, als ungesunde Ernährung, als Lärmbelastung, als Zukunftsangst und Angst vor Statusverlust, als drohender Arbeitsplatzverlust, als fordernder Chef, als missgünstiger Kollege, als pubertierender Jugendlicher, als sich beschwerender Kunde, als finanzielle Schwierigkeiten, als quälender Gedanke, als antreibender Perfektionismus und vieles mehr.
Die Wunden der Angriffe
Die gesundheitlichen Folgen dieser Dauerangriffe können weitreichend sein. Unser Immunsystem wird geschwächt und wir werden schneller krank. Unser Gedächtnis wird beeinträchtigt, unsere Merk- und Lernfähigkeit reduziert sich und wir bemerken Konzentrationsschwächen. Unsere Wahrnehmung verändert sich und wird im Extremfall bis zum Tunnelblick eingeengt. Unsere sexuelle Lust nimmt ab, das Gedankenkreisen lässt uns schwerer einschlafen und die Schlafstörungen haben zur Folge, dass wir morgens nur schwer und gerädert aus dem Bett kommen. Rücken- und Kopfschmerzen beeinträchtigen unsere Leistungsfähigkeit und schlagen auf unsere Stimmung. Wir ziehen uns immer mehr zurück bis hin zur emotionalen Entfremdung. Wenn wir all diese Folgen und gleichzeitig Warnsignale in den Wind schlagen, kann auch der totale Zusammenbruch folgen, womit uns unser Körper eine lange Pause aufzwingt.
„It’s not the stress that kills us, it is our reaction to it.“
Mit dieser Aussage macht der Vater der Stressforschung, Hans Selye (1907 – 1982) sehr klar, wo der Schlüssel zur Vermeidung der oben Beschriebenen Folgen liegt. Wir selbst tragen ihn in uns und nur wir selbst können den Umgang mit den einwirkenden Stressoren förderlich verändern und gestalten. Voraussetzung dafür ist eine bewusste Selbstreflexion, um die häufig unbewusst ablaufenden Stressreaktionen zu unterbrechen und sie an die Oberfläche zu holen. Erst dann können wir ihnen mit alternativen Strategien begegnen oder gar ihren Angriff vermeiden bzw. im Keim ersticken.
Welche stressvermeidenden Strategien förderlich sind, muss individuell betrachtet werden, da wir als Typen durch unsere Veranlagung, Erziehung und Erfahrung unterschiedlich geprägt wurden. So wie ein detailverliebter Perfektionist anders auf einen Stressor reagieren wird als ein Ängstlicher, der den Wald vor lauter Bäume nicht mehr sieht, so unterschiedlich wird auch ihr Umgang und die Lösung für die belastende Situation sein müssen. Einem Sportbegeisterten wird es leichtfallen, seinen Stress durch einen ausgedehnten Dauerlauf abzubauen, wohingegen einem Sportmuffel diese Vorstellung weiteren Stress bereitet.
Neben dem förderlichen Umgang mit auftretenden Stressoren eröffnet die Frage nach der Möglichkeit der Vermeidung von Stressoren weitere Handlungsalternativen. Wenn ich die Nachrichten nicht höre, sehe oder lese, können mich die Meldungen auch nicht belasten. Wenn ich meine Mailbox nicht permanent geöffnet habe, können mich die eintrudelnden Mails auch nicht stören. Wenn ich mich nicht mit negativen Menschen umgebe, können sie mir auch nicht die Stimmung vermiesen.
Egal ob man sich im förderlichen Umgang mit einem Stressor übt, oder dessen Vermeidung anstrebt, Voraussetzung ist immer eine bewusste Auseinandersetzung damit, um die automatisierten Stressmechanismen zu erkennen und sie dann entsprechend auszutricksen.
So werden Sie zum Dompteur Ihrer Säbelzahntiger!
Tipps zur Stressbewältigung und –vermeidung:
REFLEXION
Beobachten Sie sich selbst und erkennen Sie, welche Stressoren Sie auf die Palme bringen.
Der erste Schritt um bewusster mit der Situation umzugehen und aktiv zu gestalten.
DISTANZ
Bei Auftreten eines Stressors gehen Sie mental auf Distanz und beobachten Sie die Situation aus der Entfernung. Damit können Sie nicht so leicht hineingezogen werden, bekommen einen besseren Überblick und erkennen besser was tatsächlich passiert.
ERHOLUNG
Gönnen Sie sich regelmäßig Pausen. Idealerweise alle 90 Minuten für ein paar Minuten. Sorgen Sie für ausreichenden ungestörten Schlaf damit Geist und Körper regenerieren kann. Sie werden mit erhöhter Leistungsfähigkeit belohnt.
LOB
Schließen Sie den Tag positiv ab. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit uns lassen Sie den Tag revue passieren. Notieren sie Sich die positiven Ereignisse des Tages, erfreuen Sie sich nochmals dran und belohnen Sie sich für die erbrachte Leistung.
PLANUNG
Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Wochen- und Tagesplanung. Priorisieren Sie Ihre Aufgaben nach Wichtigkeit und beginnen Sie mit den wichtigsten Aufgaben, damit sie nicht dringlich werden.
BEWEGUNG
Fordern Sie Ihren Körper regelmäßig entsprechend Ihres Trainingszustandes, um den Aufbau Ihrer Kondition und den Abbau der Stresshormone zu unterstützen. Ein gesunder Körper ist die Basis für Ihre Leistungsfähigkeit.
ATMUNG
„Tief durchatmen!“ – Trainieren Sie Ihre Tiefenatmung. Nutzen Sie jede Gelegenheit, um tief in Ihren Bauch zu atmen. Damit reduzieren Ihre Herzfrequenz und geben Sie Ihrem autonomen Nervensystem Erholungssignale.